KAPITEL I - Gründung im lokalhistorischen und internationalen Umfeld

Was mochte wohl die Gründungsväter Jean-Pierre Nau, Jos Faber, Guillaume Jaans, Jacques Luja, Léon Dutreux und Jean-Baptiste Poncin dazu bewogen haben am 15. April (erste Vorstandssitzung) respektiv am 3. Mai 1890 ( eigentliche Gründungsversammlung) in Rümelingen einen Turnverein ins Leben zu rufen ? Die folgenden drei Überlegungen dürften dazu beigetragen haben.

Schwieriges soziales Umfeld

Es sei in diesem Zusammenhang an das äußerst schwierige soziale Umfeld um die Jahrhundertwende erinnert.

Seitdem das Kayltal im Jahre 1860 an das Netz der Wilhelm-Luxemburg-Bahn angeschlossen war und Rümelingen ab 1872 über ein Hüttenwerk verfügte, schnellte die Einwohnerzahl pfeilartig in die Höhe. Die Ortschaft gehörte damals noch zur Gemeinde Kayl obschon sie mit ihren 300 Haushalten und 2 800 Seelen mehr Einwohner zählte als die Nachbarortschaften Tetingen und Kayl zusammen.

Außer den deutschen Bergfachleuten und Minenspezialisten kamen Menschen aus dem Oesling und besonders aus Italien hierher um in den Gruben, im Hütten- oder Zementwerk und auch in den eben geründeten KIHN Werkstätten Arbeit zu finden. Unter Tag wurde 12 Stunden täglich und 6 Tage pro Woche hart gearbeitet. Von früh bis spät donnerten Böllerschüsse von den Höhen der Eisenerz-Abbaugebiete Kierchbierg, Hutbierg, Hierzesprong, Lannebierg und Steebierg zu Tal. Obschon die Ortschaft am äußersten Südzipfel des Landes damals bereits über eine Pfarrstelle mit Vikarposten, eine Postperzeptur, eine Artzpraxis, eine Sparkassenagentur, einen Gendarmerieposten und ein vom Minenbesitzer Nic Gonner erbautes Spital verfügte, waren die Lebensbedingungen der Arbeiterbevölkerung katastrophal. Die Wohnungsnot war so groß dass in Rümelingen in einem und demselben Bett auf drei Schichten geschlafen wurde. Auch die Aussage, die Ortschaft habe in ihrer Glanzzeit der Minetteausbeutung an die 130 Gastwirtschaften gezählt, beruht auf glaubwürdigen Überlieferungen. Zu diesem Zeitpunkt platzte Rümelingen aus allen Nähten. Kirche und Schule waren zu klein und es fehlte an Infrastrukturen. Die Erhebung im Jahre 1891 der Ortschaft zur eigenständigen Gemeinde war übrigens eine direkte Folge dieser Entwicklung.

Blick über die Grenzen hinaus

Zurück zum Gründungsjahr 1890 wo außer dem lokalhistorischen Umfeld der Blick über die Grenzen unseres Landes ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte. Weder Weltnachrichten wie die Entlassung des Reichskanzlers Otto von Bismark, der Beschluss der II. Internationale den 1. Mai künftig als internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung zu begehn, die erste Hinrichtung in Amerika auf dem elektrischen Stuhl oder der Tod König Wilhelms III. der Niederlande, noch die Geburten von Persönlichkeiten wie Stan Laurel, Agatha Christie oder Charles De Gaulle dürften die Initiatoren einer Turnervereinigung im Süden Luxemburgs wesentlich interessiert haben. Es ist jedoch anzunehmen dass sie sich von der Philosophie eines Friedrich Ludwig Jahn inspirieren ließen.

Wenn auch « Turnvater Jahn » als Gründer der deutschen Turnbewegung bereits 1852 starb, übte seine Zielsetzung dass Turnen zur Verbesserung der Geschicklichkeit und zur Förderung der Schnelligkeit dies auch im Mannschaftssport führe, eine gewisse Anziehungskraft aus. Eine weitere wesentliche Ursache der Gründung eines Turnvereins dürfte die Überlegung gewesen sein den Arbeitern ein Gegengewicht zur Eintönigkeit ihrer beruflichen Tätigkeit anzubieten.

Anfänge des Vereinswesens

Im Rümelinger Vereinswesen gab es vor 1890 nur den 1860 gegründeten Kirchenchor und das 1885 aus der Hüttenwerks-Feuerwehr hervorgegangene « Corps de Sapeurs-Pompiers Volontaires ». Infolge einer hohen Anzahl von italienischen Gastarbeitern denen man ja eher eine musikalische Vorliebe nachsagt, mutet es etwas eigenartig an dass die erste Rümelinger Vereinigung um die Jahrhundertwende sportlicher Natur war. Heben wir in diesem Zusammenhang hervor dass die heutige Harmonie Municipale erst 1891, also ein Jahr nach dem Turnverein, das Licht der Welt erblickte.